JUNGER FILM: Zucker: Vertrauen mit Folgen

Jede zweite Frau wurde schon mindestens einmal sexuell belästigt. Jede zweite Frau. Mindestens einmal. Eine schreckliche Realität! In „Zucker” wird eine junge Frau in den Fokus gerückt, die sich mit sexuellem Missbrauch konfrontiert sieht – stellvertretend für viele Fälle.

Content-Note: Sexualisierte Gewalt, sexueller Missbrauch

„Jede zweite Frau wurde schon mindestens einmal sexuell belästigt. Das heißt: Ihr wiederholtes Nein […] wurde nicht akzeptiert.“ In einer EU-Umfrage sagten 77 Prozent der von sexueller Gewalt betroffenen Frauen, dass der*die Täter*In Ihnen bekannt gewesen sei. Die wenigsten Vergewaltigung wurden tatsächlich auch zur Anzeige gebracht. (Quelle: Süddeutsche Zeitung; 17.04.21)

Diese ernste Thematik hat der Kurzfilm „Zucker” von Richard Barthel zum Gegenstand. Das Wort „Zucker” als Titel wirkt im ersten Moment noch so unschuldig, jedoch steckt mehr dahinter als man annimmt. „Hallo, ich bin der Nachbar von oben. Leider ist mir der Zucker ausgegangen. Hättest du eventuell noch etwas, was du mir leihen könntest?” Eine unverfängliche Situation, die wohl jeder schon einmal erlebt hat. „Klar, ich habe bestimmt noch etwas da. Warte kurz!” Der Nachbar nimmt das Gebrauchte, verabschiedet sich und geht wieder seines Weges. Eigentlich eine normale Alltagssituation! Doch was ist, wenn dieser kurze Moment noch Folgen haben wird? Und man sich wünscht, man hätte nie die Tür geöffnet?

Die hilfsbereite Protagonistin trifft in den verschiedensten Situationen im Hausflur immer wieder auf ihren Nachbarn Noah. Eine Freundschaft entsteht. Vor allem beim ersten Mal Schauen verspürte ich über weite Teile des Filmes ein sehr wohliges Gefühl. Beide Charaktere spielen sich in die Herzen des Zuschauers. Je inniger ihre Beziehung wird, umso mehr baut sich die Hoffnung auf, dass die beiden ein Liebespaar werden. Jedes Flirten verbucht man als Erfolg. Die Minuten vergehen und man wartet quasi nur darauf, dass sie sich endlich einander ihre Liebe gestehen. Absolut falsch gedacht! Es ist einfach keine Romanze, wie es die ersten Szenen anfangs vermuten lassen. Ihr Nachbar versteht das deutliche Nein nicht!

Achtung, Spoiler! Wer keine weiteren detaillierten Informationen zur Handlung von Zucker” erfahren will, kann die folgenden Zeilen überspringen und bei “Spoiler Ende” weiterlesen.


Dass bis zu diesem Zeitpunkt immer wieder das Gefühl von „Ich wünschte, sie würden ein Paar werden.” aufkommt, ist eigentlich paradox. Er leiht sich nämlich keinen Zucker für sich selbst aus, sondern erfragt Verbandsmaterial für seine Freundin, die mit ihm gemeinsam die Wohnung bewohnt. Ein Hindernis, welches nicht zu überbrücken ist! Dieses Wissen schwirrt den ganzen Kurzfilm über im Hinterkopf mit, allerdings war ich geblendet von der Hoffnung, dass man einer schönen Liebesgeschichte folgen kann. Ein romantisierender Trugschluss!


Spoiler Ende

Bei diesem Kurzfilm bietet sich enorm ein mehrmaliges Schauen an. Ich habe es bei mir gemerkt, wie sehr sich mein Blickwinkel auf die Figuren verändert hat. Beim ersten Mal ist man ungemein begeistert von beiden Charakteren, obwohl sich bereits hierbei eine größeres Mitfiebern auf Seiten der Protagonistin herauskristallisiert. Je öfter ich es gesehen habe, umso unsympathischer wurde mir ihr Nachbar. Im Wissen, was im weiteren Verlauf geschehen wird und vor allem, wie es geschehen wird, entsteht ein Angeekelt-Sein ihm gegenüber.

Der Filmschaffenden gelingt es, feinfühlig die Perspektive einer jungen Frau in Szene zu setzen, welcher sexueller Missbrauch widerfahren ist. Dabei steht dieser Kurzfilm für eine Vielzahl an Fällen, bei denen ein Nein nicht als Widerspruch akzeptiert wurde! Ein Zeichen, welches eigentlich verständlicher nicht sein könnte.


Text: Moritz Heiden

Dieser Film läuft in Block 3 des Wettbewerbs JUNGER FILM beim FiSH – Filmfestival im Stadthafen.

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