27 | Streetwork zu Corona-Zeiten


Wie kann Streetwork während der Pandemie funktionieren? Georg spricht mit der Straßensozialarbeiterin Catherine Jan aus Schwerin darüber, vor welchen Herausforderungen sie steht und welche Lösungen sie gefunden hat. Außerdem geht es natürlich auch um die Frage, welche digitalen Tools dabei zum Einsatz kommen.

Heute sprechen wir mit Catherine Jan von der Stiftung „Sozialdiakonische Arbeit – evangelische Jugend“, die soda-ej in Schwerin. Catherine ist Streetworkerin und arbeitet mit Kindern und Jugendlichen schon seit sie selbst noch Jugendliche war.

Hallo Catherine, schön, dass du da bist!

  • Hallo Georg, schön dich zu hören.

Ebenso. Ich hatte dich ja angesprochen, weil es mich interessiert, wie in Coronazeiten die offene Straßensozialarbeit funktioniert und funktioniert hat und was für Lösungen ihr gefunden habt. Und dann stellt sich natürlich auch noch die Frage, inwiefern da digitale Tools zum Einsatz gekommen sind.

Aber erstmal wäre es toll, wenn du erklären könntest, was du als Streetworkerin in Schwerin generell machst. Was ist da deine Aufgabe?

  • Ich bin hier in Schwerin seit ca. sechs Jahren Straßensozialarbeiterin und wir sind so ziemlich das letzte Glied in der Kette, was Hilfen und Unterstützung für Jugendliche und junge Erwachsene bedeutet. Wir suchen quasi Jugendliche und junge Erwachsene auf der Straße auf, die sonst nicht so in Jugendeinrichtungen gehen und auch eher vom Hilfesystem nicht aufgefangen werden oder nicht aufgefangen werden wollen. Und die begleiten wir und unterstützen sie, wenn sie es denn wollen, denn wir bewegen uns im öffentlichen Raum und das ist nicht unser Raum, sondern ihrer. Wir sind quasi Gast bei ihnen und wir dürfen bei ihnen sein und das ist ein ganz großes Geschenk, dass wir das dürfen. Und das bedeutet eine sehr lange Beziehungsarbeit, die man da aufbauen muss. Schwerin ist auch klein – das ist ein Vorteil. Das heißt, wenn du einen kennst, kennst du vielleicht auch schon ein paar andere. Und wir bedienen uns immer ein paar Hilfsmitteln, um auf die Jugendlichen zuzugehen. Wir haben ein paar Lastenräder, die wir einsetzen, damit wir nie ohne irgendwas auf die Straße gehen. Meistens sind wir im Team unterwegs, damit die Jugendlichen auch sagen können, „Hey, heute hab ich gar keinen Bock auf Catherine, aber mit Martin, ihrem Kollegen, würd ich jetzt echt gern sprechen.“ Und wir haben auch immer irgendwas dabei, Tee, Kaffee oder einfach nur einen Flyer.

Und ich hab gesehen, ihr habt bestimmte Stadtteile für die ihr zuständig seid und woanders sind andere Träger zuständig? Wie funktioniert das?

  • Hier in der Innenstadt sind wir als evangelische Jugend soda-ej zuständig und Innenstadt. Das heißt Paulstadt, Altstadt, Feldstadt, Lewenberg und sogar bis raus nach Wickendorf. Und dann gibt es noch die Caritas, die im Bereich Weststadt und Lankow unterwegs ist und auch Friedrichstal und Warnitz und dann gibt es noch den Bauspielplatz, die den gesamten Dreesch abdecken. Das ist ein ganz großes Geschenk, dass wir mit so vielen Menschen, mit insgesamt sieben Streetworkern hier in Schwerin unterwegs sein dürfen. Ich glaube, da sind wir echt Vorreiter in ganz Mecklenburg-Vorpommern, dass wir so gut abgedeckt sind und dass der Bedarf durch die Stadt einfach auch erkannt wurde, dass Staßenarbeit wichtig ist.

Wie kann ich mir das vorstellen. Ist das so, dass ihr wirklich strikt Grenzen habt oder ist das tatsächlich eher so, dass ihr zwar verschiedene Träger habt, aber eigentlich arbeitet ihr zusammen?

  • Diese Grenzen sind von der Stadt vorgegeben, aber wir verstehen uns schon als Team. Wenn Andreas in Lakow ein herausforderndes Problem hat oder irgendwie Unterstützung bei einem Projekt braucht, dann unterstützen wir uns auch und helfen uns und begleiten auch zum Teil Fälle gemeinsam. Auch wenn ganz große Projekte ansehen. Wir machen manchmal stadtweite Straßensozialarbeitsprojekte, z.B. sind wir vor zwei Jahren mit so einem alten englischen Doppeldeckerbus im Winter an die Ostsee gefahren und haben da mit Jugendlichen zwei-drei Nächte gepennt und sind die Ostseeküste langgefahren und das machen wir dann mit allen zusammen, sodass auch die Möglichkeit besteht, dass ganz viele verschiedene junge Menschen zusammenkommen und aufeinander treffen, weil wir gemerkt haben, dass das ganz gewinnbringend ist, verschiedene Milieus zusammenzubringen.

Ja, und dann ist Corona passiert, letztes Jahr. Das stell ich mir schwer vor, wenn ihr sonst einfach draußen zusammenkommt, vielleicht mit eurem Lastenrad und da sicherlich auch mal Grüppchen zusammenkommen. Streckenweise kann das ja rechtlich gar nicht mehr möglich gewesen sein, weil ja die Ansammlungen beschränkt waren.

  • Corona war erstmal ganz schön bitter, weil wir eigentlich kurz vor der Durchführung unseres Jahresturniers standen. Wir machen immer einmal im Jahr ein ganz großes Nachtturnier. Das Prinzip ist, wenn du nicht am Rewe abends abgammeln und dich betrinken willst, dann komm doch zu uns in die Sporthalle und wir machen da ein fettes Turnier und da sind immer so 250 Leute gekommen und das war eine Woche nach Lockdown geplant und das war erstmal voll die Enttäuschung.

Ein Fußballturnier ist das, oder?

  • Es wird Fußball, Volleyball und Basketball gespielt. Man muss mit seinem Team in allen Disziplinen antreten, was total cool ist, weil dann nicht nur die ganzen Fußballleute dabei sind, sondern echt auch ein paar Leute kommen, die sehr gut im Volleyball sind oder Basketball. Basketball ist ja eher so eine Nischensportart, was dazu geführt hat, dass in den letzten Jahren oftmals ein Team gewonnen hat, das besonders gut im Basketball war. Das fand dieses Jahr leider überhaupt gar nicht statt. Und dann standen wir vor der Herausforderung, was jetzt? Also auch – was jetzt Staßensozialarbeit? Aber was total gut war, war, dass wir eigentlich schon immer in den sozialen Medien unterwegs sind – Facebook, Instagram&Co war uns schon vorher kein Fremdwort, weil wir da schon immer mit den Jugendlichen verbunden waren, weil die da uns auf kurzem Wege anschreiben konnten, wir auch Livevideos gemacht haben. Und dann sind Jugendliche aus der Straßensozialarbeit und aus dem Dunstkreis vom Paulskirchenkeller – eine offene Jugendeinrichtung, die wir auch begleiten – auf die Idee gekommen, ok wir machen einen eigenen digitalen Jugendraum auf und haben sich dann an Skype bedient. Gerade Skype, das hast du das letzte Mal irgendwie vor zehn Jahren angehabt und dann hast du das jetzt wieder angemacht – hey das gibt’s noch, cool. Hab ich noch irgendwo ein Konto?Und dann haben wir gemeinsam mit denen wirklich diesen Skyperaum aufgemacht, der bis heute auch existiert. Also bisher wurde kein anderes Tool benutzt, sondern Skype war wieder voll dabei. Seit März ist dieser digitale Jugendraum 24/7 offen, und wir bedienen den offiziell Dienstag und Donnerstag. Da sind wir mit als Streetworker und Jugendsozialarbeiter mit drin, aber die Jugendlichen rufen sich auch ganz allein an und bequatschen, wie’s ihnen geht. Und das war im ersten Lockdown total gut. Keiner kannte vorher das Gefühl, zu Hause sein zu müssen, obwohl draußen die Sonne scheint und man konnte nicht raus und nicht in den Jugendtreff und da war es so cool, sich da zu treffen. Und ich glaub, das hat viele bestärkt.

Das war dann sozusagen die digitale Straße.

  • Die digitale Straße, ja. Was total abgefahren war, wenn von irgendeinem Jugendlichen Instagram Livevideos gestartet wurden, dann hab ich mich da sonst nie reingeklinkt, aber während Corona hab ich dann gedacht, ok, das ist jetzt meine Möglichkeit, mit denen in Kontakt zu treten und hab einfach eine Beitrittsanfrage gestellt und war abends ziemlich oft in irgendwelchen Livevideos von Jugendlichen, die wir sonst von der Straße kennen, die jetzt in ihrem Zimmer saßen und gezockt haben oder Mathe gemacht haben und wir haben dann einfach gequatscht. Das war natürlich öffentlicher als das sonst ist. Sonst stehen wir auf dem Marienplatz, zwar auch im öffentlichen Raum, aber da ist man für sich. Bei Instagram ist halt alles ziemlich offen. Da kann jeder zugucken und das ist eine Besonderheit.

Das heißt, ihr habt auf jeden Fall kurzfristig eine Lösung gefunden und du sagst, dass ihr bis heute diesen Raum benutzt.

  • Genau, bis heute wird der bedient und bespielt. Am Anfang des Lockdowns war es so, wir können nicht mehr richtig in Kontakt treten als Straßensozialarbeit auf der Straße, haben aber immer geguckt, was los ist. Und dann hat sich das im Sommer wieder ein bisschen gelegt und das war auch ganz schön krass, weil natürlich alle raus wollten und das haben wir natürlich auch gespürt, Freitag Abend in der Stadt und im Schlossgarten, da ging’s gut ab. Das hat uns gezeigt, dass alle Menschen, ob jung oder alt, den Kontakt untereinander brauchen und suchen und wir weiterhin Möglichkeiten schaffen wollen, in Kontakt zu bleiben. Heute gerade, als ich auf dem Fahrrad, hab ich gedacht, wenn das jetzt Dienstag noch krasser werden sollte, dann muss ich vielleicht darüber nachdenken, über ein anderes Tool reine Onlineberatung anzubieten. Jetzt kann immer noch einer bei uns ins Büro kommen und ich darf mit dem allein Beratung machen, aber was ist wenn das auch gar nicht mehr geht? Dann machen wir das vielleicht auch demnächst über Zoom, das wir uns Jobcenteranträge oder Briefe reinzeigen und überlegen, wie wir da weiter verfahren.

Es kann ja auch sein, dass ein Jugendlicher sagt, das ist mir eigentlich zu riskant, weil ich meine Großeltern regelmäßig sehe – dann wär es auch gar kein schlechtes Angebot.

  • Ja, auf jeden Fall.

Wie ist das für euch? Hat sich eure Arbeit langfristig verändert? Was macht ihr im Alltag, wenn ihr jetzt nicht eure Angebote im Skyperaum macht?

  • Der Alltag ist weniger gruppenlastig und dafür sehr einzelfallbetont. Seit dem Lockdown haben wir viel mehr Einzelberatung von jungen Menschen, die hier zu uns kommen und einfach da sind und Hilfe brauchen. Dazu laden wir gar nicht so sehr explizit ein, wir machen gar nicht so doll Werbung, aber dadurch dass so viele Hilfeeinrichtungen geschlossen haben und Ämter den Zugang nur mit Termin zulassen, sind wir ein recht einfacher Weg, um an Beratung zu kommen. Man kann hier einfach klingeln und fragen, hey kannst du gerade? Wir können alles sehr niedrigschwellig lassen und das ermöglicht es uns am Vormittag vor allem Beratungen zu machen, face to face natürlich mit Abstand und Maske und all den Hygienevorschriften, die uns das ermöglichen. Und im Nachmittagsbereich gehe ich immer noch raus. Wir können trotzdem immer noch mit der Akzeptier-Bar rausgehen und dann haben wir Einwegbecher und können draußen mit den Leuten in Kontakt sein und dort auch beraten und im Gespräch sein. Denn die sind ja immer noch da – es ist ja nicht so, dass jetzt keiner mehr da ist. Wir haben immer noch unsere Schnorrer in den Straßen. Und wir haben immer noch Jugendliche, die zu Hause halt nicht ihren geschützten Raum haben. Das wird auch oft vergessen. Bei einem Haushalt wir oftmals von dem Stereotyp der Familie ausgegangen und nicht jeder fühlt sich wohl in Familie, also es gibt Jugendliche die leben bei ihren Eltern, aber haben da eigentlich keinen richtigen Rückzugsraum und die Wohnung ist eher der Rückzugsraum für die Eltern, aber nicht für das Kind. Sonst bewegen sich Jugendliche eher draußen mit ihren Freunden und das machen sie jetzt auch eingeschränkt durchaus weiter, um da ihren Raum zu finden.

Na klar, viele Jugendliche müssen sich ja auch von ihren Eltern einfach zurückziehen können.

  • Genau, von denen wird halt erwartet, dass sie zu Hause, in ihrem Haushalt am sichersten sind, aber manchmal sind sie am sichersten an einem anderen Ort.

Das klingt aber eigentlich so, als hättet ihr es ziemlich gut geschafft, die Leute, die ihr sonst auch erreicht habt, weiterhin zu erreichen. Wenn du sagst, dass du es schaffst, trotzdem auch noch rauszugehen, dann fällt bei euch nicht so richtig jemand durchs Netz.

  • Das ist das große Geschenk an Straßensozialarbeit. Wir sind an keinen Ort gebunden. Das kam uns sonst immer total zu Gute, weil wir nie in einem Jugendtreff feste Öffnungszeiten abdecken mussten, sondern wir konnten immer sehr spontan auf irgendwelche Sachen reagieren. Und das machen wir jetzt immer noch. Wir reagieren spontan auf Ereignisse, die das öffentliche Leben und junge Menschen betreffen. Und so ist es auch gerade mit dieser Pandemie, nur das diese Pandemie viel länger eine spontane Reaktion ist als sonst.

Was für mich immer noch interessant ist, ist die Frage nach der Beteiligungsarbeit. Dieser Skyperaum war von den Jugendlichen selbst initiiert worden, hab ich das richtig gehört?

  • Genau. Wir versuchen die Ehrenamtliche, die in der Straßensozialarbeit und im Paulskirchenkeller sind immer mit zu beteiligen und zu schauen, was geht. Im letzten Jahr haben wir z.B. dieses Sportturnier verändert. Wenn das Sportturnier nicht sein kann, dann machen wir kleine Sportevents und dann haben wir mit den Jugendlichen überlegt, was können wir in der zweiten Jahreshälfte noch gemeinsam machen? Und wir haben das eine Fahrt für ein Wochenende geplant und wollten verschiedene Sachen in Schwerin machen. Klettern, Bowling, esports. Es ist letztendlich nur zu einem fetten Ereignis gekommen, weil dann wieder der nächste Lockdown kam. Die Jugendlichen meinten irgendwie, Mariokart oder so wär super und dann hab ich gesagt, die technischen Voraussetzungen haben wir gerade nicht und dann war ich mit Elisa aus dem Tisch, das ist hier so ein Coworking-Café, im Gespräch. Und die meinte, hey, ich hab hier mit einem Hacklabor ein Event geplant, aber es haben sich nicht genug angemeldet und wir machen das jetzt nochmal – komm doch da dazu. Dann sind wir da mit zehn Jugendlichen aufgelaufen und haben uns da angemeldet und haben einen esports-Abend mit vielen anderen jungen Menschen mit Elisa durchgeführt, was total cool war. Das Hacklabor hat da ein paar Wiis aufgestellt und dann hat man zu viert über den Beamer gespielt, auch mit Maske und allem drum und dran und das war ein schönes Gemeinschaftserlebnis, was wir vorher gemeinsam geplant haben.

Voll cool. Unter normalen Umständen wären ja wahrscheinlich so unterschiedliche Gruppen gar nicht zusammengekommen.

  • Auf gar keinen Fall. In diesem Coworking-Café, da sind halt irgendwie Solo-Selbstständige eher am Start und Leute aus der Kreativszene. Und das war total cool, weil wir da halt mit unseren Jugendlichen aufgeschlagen sind und das dir ganze Runde noch mal ein bisschen durchgewirbelt hat. Am Ende hat sogar einer von uns gewonnen.

Cool. Gab’s einen Pokal?

  • Es gab eine riesengroße Flasche Schampus für denjenigen, der schon über 18 Jahre alt war und ein ziemlicher Zocker war. Das ist auch nochmal ganz spannend: Tagesrhythmen verschieben sich ja völlig. Bei dem war das so, während Corona hat sich sein kompletter Tagesrhythmus so krass nach hinten verschoben, der war halt immer nachts wach. Das fand ich auch krass, wenn dir plötzlich die Struktur des Alltags fehlt, was das auch mit deinem Lebensrhythmus machen kann.

So wie du das gerade schilderst, klingt das ja alles so, yay, Corona ist zwar doof, aber an sich haben wir das gut hingekriegt und man könnt jetzt sagen, alles toll und tschüß. Aber wahrscheinlich gibt’s ja trotzdem irgendwelche Sachen, wo du sagst, da wär es gut gewesen, hätten wir nochmal ein bisschen mehr Unterstützung bekommen. Oder da wurden Dinge einfach versäumt. Gibt es irgendwelche Sachen, wo du sagst, da wären bestimmte Hilfestellungen oder einfach andere Entscheidungen besser gewesen?

  • Ja, Corona war auch richtig scheiße, also Corona ist auch immer noch richtig scheiße. Wir haben auch junge Menschen begleitet, die während Corona ihren Job verloren haben oder in Kurzarbeit mussten und dann weniger Kohle hatten und ihre Miete nicht zahlen konnten und die wir hier mit den Wohnungsgesellschaften beraten haben und geholfen haben, dass die nicht aus ihrer Wohnung geschmissen worden sind, obwohl sie schon den roten Zettel bekommen haben mit fristloser Kündigung und Räumung. Das ist ganz schön krass, das mitzubegleiten, weil man weiß, keine Wohnung zu haben hat einen riesigen Rattenschwanz. Keine Wohnung zu haben bedeutet am Ende auch, keine Arbeit zu bekommen, weil du keine Meldeadresse hast, das ist total schwierig dann Sozialleistungen zu beantragen. Eine Wohnung zu haben ist gerade so wichtig und deswegen waren wir da total hinterher irgendwie zu helfen. Also Arbeit zu haben ist gerade Gold wert und auch wirklich Arbeit zu haben, wo man nicht in Kurzarbeit hängt. Und was auch voll schwierig ist, das haben viele Jugendliche nach dem ersten Lockdown gesagt, dass sie während des Lockdowns das gar nicht so gemerkt haben, aber danach gemerkt haben, wie sehr sie das auch beeinträchtigt hat und wie sehr sie eigentlich auch darunter gelitten haben, dass sie auch weniger Kontakte haben. Jetzt ist es so, dass wir auch Jugendliche begleiten, oder junge Erwachsene eher, die hier seit Wochen schon in der Klinik sind und das sind eher so die Scheiß-Geschichten. Du wünschst es niemandem, dass es ihm so dreckig geht, dass er am Ende in die Klinik muss, aber es ist total hilfreich wiederum auch. Und da versuchen wir junge Menschen auch während ihres Klinikaufenthaltes zu begleiten, vielleicht auch über den Skyperoom in Kontakt zu sein und zu zeigen, hey du bist nicht allein. Letzten hatte eine Jugendliche den Vorschlag gemacht, für einen jungen Erwachsenen, der gerade in der Klinik ist, ein Video zu drehen: Wir sind hier, wir wollen dir alles gute wünschen und denken an dich. Denn du kannst ja nicht mal mehr in die Klinik und jemanden besuchen. Das geht ja nicht so richtig. Das ist glaub ich gerade das Schlimmste, dass den Leuten das Zwischenmenschliche und Emotionale ein bisschen abhanden kommt. Und das ist auch unsere Aufgabe die Leute da ein bisschen aufzufangen und vielleicht auch emotional mal ein bisschen bauchzumiezeln und zu sagen, hey, du bist cool, du bist gut und das ist schön, dass du da bist. Und deswegen ist mir diese vor-ort-Beratung immer noch total wichtig, dass du einem Menschen in die Augen schaust und sagt, hey wir kriegen das hin. Dass du nicht alleine zu Hause sitzt und sagst, scheiße, das krieg ich gar nicht mehr hin mit mir.

Ich hab mich noch gefragt, was macht das eigentlich mit euch selbst als Team. Denn ihr setzt euch ja dann doch relativ vielen Kontakten aus und geht damit ein höheres Risiko ein in puncto Ansteckung.

  • Das ist ja quasi eine Grundgefahr. Wenn du in der Straßensozialarbeit tätig bist, bist du ja immer mal mit Menschen zusammen, die übertragbare Krankheiten haben, das ist so ein bisschen das Berufsrisiko. Wir schützen uns soweit es geht, wir tragen die Maske, ich hab in meiner Jacke immer Desinfektionssprühzeug dabei. In der Akzeptierbar haben wir auch einen Desinfektionsspender, wir haben Handschuhe. Schon vor Corona haben wir immer auf Hygiene geachtet. Wenn wir mit unserer Eintopfküche unterwegs waren und draußen in der Öffentlichkeit Suppe gekocht haben, dann haben auch immer alle, die mitgeholfen haben, Handschuhe getragen und deswegen achten wir da schon drauf. Es ist natürlich so, dass es da auch ein Gefälle gibt, dass wir unterschiedlich mit Menschen unterwegs sind. Mir ist es wichtig, das unter den Bedingungen, die wir gerade haben, das möglich zu machen, weil ich eben weiß, dass wir das letzte Glied in der Kette sind. Es gibt aber auch Kollegen, die sagen, ich mach lieber einen Termin, ganz offiziell und schau, dass ich mich da auch ein bisschen schütze, weil so wie es gerade ist, fühl ich mich auch ein bisschen unwohl. Aber dafür sind wir zum Glück hier zu dritt und können sagen, hey ich fühl mich damit gerade besser und möchte das gerne so machen und ich kann sagen, ich fühl mich damit gerade besser und möchte das gerne so machen.

Dann ist es ja auch voll wertvoll, dass ihr einfach ein großes Team seid und euch gut absprechen könnt. Ein gutes Argument generell dafür, das so gut ausgestattet zu haben wie bei euch in Schwerin.

  • Auf jeden Fall. Es geht natürlich immer noch besser. Ich sitz gerade an einem Antrag. Mein Wunsch ist eigentlich, dass ich ein mobiles Draußen-Büro habe. Dass ich ein Tablet habe, mit dem ich draußen unterwegs bin, das dauerhaft Internet hat, womit ich draußen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen Anträge bearbeiten kann, ihnen helfen kann und dass wir komplett räumlich frei sind. Es ist völlig egal wo wir sind und ich ihnen da vor Ort helfen. Hoffentlich klaut mir jetzt keiner die Idee. Das ist mein Wunsch für dieses Jahr, dass das möglich gemacht wird, dass wir komplett autark sind, weil es das, glaub ich, so viel einfacher macht.

Wenn es jemand klaut, kann er oder sie ja gerne bescheid sagen und sich melden. Dann haben wir auf jeden Fall schonmal einen Präzedenzfall dafür, dass das geht.

  • Ja genau. Man braucht ja das Rad nicht neu erfinden. Das ist natürlich auch cool, wenn ich von jemand anderem das klauen kann.

Und mal ganz unabhängig von Corona: Das klingt ja für mich so, als wär für euch für die, für die das infrage kommt, digitale Tools und Beteiligungswege, gerade auch über social media, der normale Lebensraum. Also die digitale Straße habt ihr ja nicht erst erfunden, sondern das gab es anscheinend vorher auch schon.

  • Ja, weil wir Bock drauf haben. Aber das ist auch total unterschiedlich. Wir sind ja hier zu dritt. Es ist so von, „Ich mach das, aber zeig mir nochmal wie das geht.“ bis hin zu „Ich hab hier was gehört und probier das jetzt aus und hab Bock drauf.“ Das ist ganz unterschiedlich. Ich hab allein schon bei Instagram ständig neue Funktionen, die dazu kommen und dann sich die Zeit zu nehmen, das auszuprobieren und das dann auch noch irgendwie hinzukriegen und umzusetzen, dann muss man schon Bock drauf haben. Heute morgen war ich erst in einer Videokonferenz mit der Schulsozialarbeit von unserem Träger und da fragte mich die Kollegin, „Ey Catherine, muss ich denn jetzt Instagram machen?“ und da hab ich gesagt, „Ne, musst du ga nicht. Mach das worauf du Bock hast und das wird am besten funktionieren. Auch in dieser Pandemie. Das worauf du Bock hast, wird am besten funktionieren und es muss nicht immer der digitale Weg sein.“ Ich hab schon die abgefahrensten Sachen gehört, wie man mit Menschen in Kontakt kommen kann, das wäre nicht mein Weg gewesen, Basteltütchen&Co, aber es scheint zu funktionieren und es scheint auch Menschen einfach zu gefallen.

Ich glaub das ist auch das wichtige, dass man einfach eine Bandbreite hat an verschiedenen Zugangswegen. Das sagen wir bei der digitalen Jugendbeteiligung ja auch immer: Wichtig ist, dass man Jugendbeteiligung versteht und dann ist eben das Digitale ein weiteres Tool, ein weiterer Raum, in dem sich Jugendliche bewegen, den man ansprechen kann, aber nichts von dem funktioniert exklusiv und allein.

  • Genau. Ich hab z.B. einen Spotify-Account. Und dann hab ich immer gedacht, ich seh immer die Instagram stories von den Jugendlichen und ich hör da einen Haufen Musik und es ist total gewinnbringend, sich diese Musik mal reinzuziehen. Wirklich abends Kopfhörer auf und richtig das mal reinballern. Und dann hab ich Jugendlichen gefragt, hey was hört ihr für Musik, was sind grad eure Lieblingssongs und hab eine Spotify Streetworkplaylist gemacht, die auch mal wieder aktualisieren müsste. Mit Songs, die sie cool finden. Ich fand es irgendwie gut, einfach da drin zu sein, wenn man schon so wenig mitbekommt. Denn Musik ist einfach so wichtig, das ist Identität, das ist sinnstiftend. Deswegen, da mal reinzuhören, auch bei Gzuz und 187 Straßenbande, also dann weiß man manchmal auch, was man nicht hören möchte.

Aber das Thema zeigt ja auch ganz gut, dass das im Grunde gar nicht so doll anders geworden ist. Früher hat man dann irgendwie Tapes aufgenommen und das vielleicht auch abgespielt in der Gruppe und versucht, ähnliche Musik zu hören oder zu machen und jetzt haben wir halt andere Verbreitungswege, aber das was verbindet ist eben weiterhin die Musik.

  • Ja, oder manche haben jetzt ja auch irgendwelche DJ-Sets aufgenommen und sie der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Da würd ich gern mal eine Statistik sehen. Ich glaube wie für 2020, so viele DJ-Sets gab’s wahrscheinlich vorher noch nicht.

Ok, ich bin gerade mit meinen Fragen am Ende. Nur die Frage bleibt noch, ob wir noch irgendwas vergessen haben. Gibt’s noch irgendwas zu erwähnen?

  • Ich freu mich, dass du jetzt beim Jugendmedienverband bist.

Dankeschön.

  • Also, ich vermisse Katha, aber ich find es schön, dass du da bist, und dass wir uns hier, ja dass wir uns heute hier getroffen haben, um darüber zu quatschen, was so Straßensozialarbeit macht. Ich hoffe, dass das ein kleiner Einblick für dich jetzt war.

Ja, das ist voll spannend. Auf diese Weise lern ich gerade an mehreren Punkten nochmal ein paar Sachen genauer kennen und da gibt’s auf jeden Fall noch einige Punkte, wo ich noch mehr dann kennenlernen kann und auch ein bisschen tiefer dann auch. Und irgendwann nach Corona kann man ja sicherlich auch Sachen zusammen unternehmen, das wird bestimmt gut.

  • Unbedingt, lass uns das machen.

Ok, jetzt kannst du noch Werbung für euch machen und sagen, wo man online euch am besten finden kann.

  • Wir haben zwei Kanäle bei Instagram. Einmal Streetwork.Schwerin und dann noch einmal Paulskirchenkeller. Das gleiche ist auch für die alten Hasen bei Facebook, wobei Facebook ja ziemlich tot ist. Und ansonsten, wenn man bei dem Skyperoom mitmachen möchte, kann man uns einfach eine Nachricht auf Instagram schicken und dann kriegt man den Link für den Skyperoom. Und ansonsten haben wir so ziemlich jeden Messengerkanal außer natürlich WhatsApp, worüber wir erreichbar sind. Ja, ansonsten kann man uns auch ganz old school persönlich ansprechen auf der Straße. Wir sind draußen unterwegs, sind sofort zu erkennen, weil wir Straßensozialarbeitsjacken anhaben, da steht dick „Streetwork“ drauf und dann kann man uns einfach mal anquatschen, wenn wir nicht schon selbst euch angequatscht haben.

Da entkommt euch keiner. Habt ihr da Zeiten, wann ihr immer draußen seid?

  • Eher nachmittags, aber es gibt keine festen Zeiten. Vor allem jetzt gerade ist das immer eher spontan. Auch immer nach Wetterlage. Letzte Woche war ja so mega krasse Sonne und da waren wir draußen, weil die Leute draußen waren. Und das war total cool, weil da waren Skateboarder draußen. Und Leute, die Capoeira gemacht haben draußen. Das ist irgendwie cool.

Ok, danke nochmal für deine Zeit. Das war schön von dir zu hören und von dem, was ihr alles macht und dann würd ich mal sagen, bis zum nächsten Mal.

  • Bis zum nächsten Mal.

Ciao.


Shownotes:
Sozial-Diakonische Arbeit Evangelische Jugend soda-ej.de
Paulskirchenkeller
Straßensozialarbeit
Instagram: streetwork.schwerin
Instagram: Paulskirchenkeller
Facebook: Catherine Streetwork Schwerin

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Beitrag vom 15. Februar 2021