In der ersten Folge im neuen Jahr gehts weiter in unserer Tool-Vorstellungsreihe. Warum AULA aber eigentlich viel mehr als nur ein Tool ist und wie es beim Erfahren der demokratischen Selbstwirksamkeit hilft, erklärt euch die Projektleiterin Alexa Schaegner im Interview mit Georg.
Heute geht es um das Schüler:innenbeteiligungskonzept aula. Dafür haben wir Alexa Schaegner vom Verein Politik-Digital eingeladen, die bei aula die operative Projektleitung macht.
Hallo Alexa.
Hallo Georg.
Schön, dass du dir die Zeit für uns nimmst!
Danke für die für die Einladung!
Könntest du vielleicht einmal für den Einstieg ganz knapp zusammenfassen: Was ist aula?
aula ist ein Beteiligungskonzept für junge Menschen, das mit einer digitalen Plattform und App funktioniert als Instrument. Wir haben angefangen, das mit Schüler:innen zu machen und am Anfang hieß das Projekt auch „aula – Schule gemeinsam gestalten“. Inzwischen kann man es aber ausweiten auf generell Menschen, die in einem geschlossenen Rahmen miteinander interagieren und Interesse daran haben, Beteiligung umzusetzen.
Du arbeitest beim Verein Politik-Digital. Was ist das für ein Verein?
Das ist eine gute Frage. Uns gibt es schon seit 1998 und wir haben angefangen als eine der ersten Plattformen, die sich mit Digitalisierung und Politik beschäftigt haben. So ein bisschen in die Richtung gehend, wie jetzt z.B. netzpolitik.org und das hat sich dann aber über die Jahre extrem gewandelt.
Wir sind gerade so ein bisschen in einer Orientierungsphase, weil wir merken, dass unsere Expertise in den Projekten liegt, die wir machen. Wir haben auch ein Online-Magazin, wo wir über digitale Themen schreiben, die mit Politik zu tun haben, aber unser Schwerpunkt liegt eigentlich momentan auf digitaler politischer Kommunikation, also das zu ünterstützen und auf digitaler Bildung und Demokratie. Man kann zusammenfassen: wir wollen Beteiligung fördern mit den Mitteln der Digitalisierung – und das auf allen Ebenen.
Dass ihr Jugendlichen arbeitet, ist also von vornherein gar nicht immer so gewesen?
Nein, gar nicht. Ich hab angefangen bei politik-digital mit einem Projekt, das nennt sich digitale Bürgersprechstunde. Da haben wir Abgeordneten die Möglichkeit gegeben über Videochat mit ihren Wähler:innen in Kontakt zu kommen. Das war noch vor Corona und wir haben es einfach als eine gute Möglichkeit empfunden, da wirklich einen direkten Kontakt herzustellen. Das heißt, wir haben eine Stunde organisiert mit denen und die Bürger:innen konnten sich dazuschalten und Fragen stellen. Das war das Projekt mit dem ich eingestiegen bin.
Ich bin auch Politikwissenschaftlerin und komm aus dem Bürgerbeteiligungsbereich. Genau diese Frage „Wie kann man Menschen beteiligen“ hat mich immer umgetrieben und Digitalisierung ist natürlich etwas, was da ganz neue Möglichkeiten bietet. Das war bei politik-digital auch lange Zeit meine Arbeit und dann kam Marina irgendwann zu uns mit der Idee aula und der Förderung der bpb – Marina hatte das direkt mit dem Thomas Krüger ausgehandelt – und da brauchte sie einen Trägerverein und kam zu uns. Da ich mich mit diesem Thema am meisten beschäftigt hab, so mit digitaler Beteiligung, war ich dann da involviert. Für mich war das aber mit Jugendlichen komplett Neuland zu dem Zeitpunkt vor fünf Jahren.
Und dann haben wir das einfach ausprobiert und dann aber auch gemerkt wiederum, dass das ganze Konzept auch nicht nur für Jugendliche geeignet ist. Das kann im Prinzip jeder einsetzen. Wir haben es so niedrigschwellig konzipiert, dass es sehr leicht zugänglich ist, weil tatsächlich viele Bürgerbeteiligungsprojekte, -plattformen, -foren, mit denen ich mich vorher beschäftigt habe, sind oft sehr komplex, kompliziert und voraussetzungsvoll, um das mitzumachen. Aula setzt an der Basis an und ist altersmäßig so gedacht, dass man sobald man anfängt, sich in der Gessellschaft zu bewegen, man auch anfängt, sich zu beteiligen. Und das fängt halt bei Schule an, aber das hört natürlich dort nicht auf.
Das heißt, euer Ziel mit aula ist, einen niederschwelligen Einstieg für Beteiligung aufzubauen?
Ja, genau. Also, einen Rahmen zu schaffen, in dem man wirklich die Möglichkeit hat und auch das Vertrauen und die nötigen Assets, um das zu tun. Im Moment ist es dieser gängige Mechanismus, wie Beteiligung oder Demokratie funktioniert: Du gehst durch diese Institution Schule, die extrem undemokratisch ist. Obwohl es sowas gibt wie Schülervertretungen, dennoch sehr undemokratisch. Und danach sollst du als mündige:r Bürger:in und politisch informierte Entscheidungen treffen und am besten sogar das irgendwie mitgestalten und hast das aber vorher nie wirklich selbst erfahren. Das ist der Hintergrund, dass Beteiligung auch gelernt werden muss.
Das klingt ziemlich gut. Vielleicht machen wir es so, damit wir verstehen, wie aula funktioniert, dass wir den Prozess einmal durchspielen.
Ich stell mir jetzt mal vor, ich bin ein Schülervertreter, ich habe von aula gehört und jetzt möchte ich, dass an meiner Schule aula umgesetzt wird. Womit fange ich an?
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir hatten tatsächlich mal einen Fall, da ist eine Schülerin – die war noch nicht mal Schülervertreterin – direkt auf uns zugekommen. Das war sehr interessant: Bevor sie das an ihrer Schule verbreitet hat, ist sie erstmal zu uns gekommen und hat sich bei uns informiert und gefragt: Was die Möglichkeiten sind? Was die Voraussetzungen? Wie viel kostet das? Dann waren wir sehr eng im Austausch und haben zusammen überlegt, wie wir das an ihrer Schule etablieren können.
Aber natürlich ist einer der wichtigsten Schritte, dass man alle informiert, die daran beteiligt sein werden, was letztendlich alle sind. Denn der Kern von aula ist eben, dass nicht nur Schülervertreter:innen die Möglichkeit haben, mitzubestimmen und mitzumachen, sondern alle. Jeder bekommen einen Zugang zu dieser Plattform und jeder kann dementsprechend mitmachen und insofern müssen natürlich auch alle informiert werden.
Die Schulleitung ist natürlich eine wichtige Hürde, die man nehmen muss – manchmal ist es auch keine Hürde. Ich wird also zur Schulleitung gehen und um einen Termin bitten, ich würde mit der SV (Schülervertretung) sprechen und würde denen das vorstellen und dann fragen, ob Interesse besteht.
Und dann, mit uns Kontakt aufzunehmen, ist das eine, was die Schulen in den meisten Fällen machen. Andererseits hätten sie aber auch die Möglichkeit, es komplett selbstständig umzusetzen. Die Software, das Konzept und das alles ist open source. Man kann sich eine Plattform – also eine aula Instanz – selbst aufsetzen und das erfordert ein bisschen administrative Kenntnisse.
Da bräuchte man irgendwie einen Techniker bei sich an der Schule oder müsste sich jemanden ranholen.
Ja, jemand, der so eine Art Systemadministrator sein kann und weiß, wie man so etwas aufsetzt. Ich weiß nicht, ob der Vergleich ganz stimmt, aber wir sagen immer, das ist ungefährt so aufwändig, wie wenn du dir eine WordPress-Seite anlegst.
Hm, wahrscheinlich ein bisschen schwieriger, weil für WordPress gibt es ja bei einigen Anbietern einfach so ein-Klick-Installationen …
Das stimmt, aber wir haben jetzt ein Tool, das nennt sich Docker-Container, wo man auch die ganzen Bausteine drin hat, die man braucht. Aber es stimmt schon, man muss einfach sich ein bisschen mit der Materie auskennen und natürlich ist auch ein Nachteil, was wir jetzt immer mehr feststellen, wenn eine Schule das selber bei sich hostet, dann kriegen die halt die automatischen Updates nicht.
Obwohl wir tatsächlich sehr bemüht sind, das alles sehr übersichtlich und grundlegend zu halten, damit es nicht so komplex aussieht von der Nutzeroberfläche her, ist das System dahinter relativ komplex und wir entwickeln das laufend weiter und deswegen bieten wir auch an, dass wir das hosten. Das kostet 10€ im Monat auch für Schulen und dann haben sie aber auch die Möglichkeit die Einführung komplett selbstständig zu machen und sich ein bisschen durch unsere Materialien inspirieren zu lassen. Wir haben sehr viele Materialien für Schulen oder für alle die es gerne einsetzen möchten auf unserer Seite – von Tutorialvideos über Leitfäden über irgendwelche Plakate und Icons usw. Also man kann da schon sich austoben und das selber machen. Dennoch haben viele den Wunsch, dass wir uns erstmal mit denen in Verbindung setzen und das dann vorstellen.
Dann muss man das natürlich verabreden, wie ist die Vereinbarung, kriegt man irgendeine Förderung von außen für unsere Betreuung – denn die ist nicht umsonst, wie es am Anfang in der Pilotphase war – oder zahlt die Schule das selber. All diese Sachen muss man dann vorher klären und dann machen wir Workshops mit den Schulen und begleiten die dann dabei, das ganze bei sich zu integrieren.
Und angenommen, die Schule hat jetzt nicht das Budget oder will es nicht freigeben und ihr habt sowieso auch viel zu wenig Zeit, und man traut sich das nicht so ganz zu, sich da durch das ganze Material ganz allein durchzuwühlen, habt ihr da eine Idee, wie man sich trotzdem Hilfe holen könnte?
(lacht) Naja, wir sind gerade dabei, Botschafter:innen auszubilden in ganz Deutschland. Das haben wir schon eine Weile vor, dass Personen, die irgendwie in dem Bereich Schule, aber auch außerschulische Jugendarbeit unterwegs sind, mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, auch Lehrer:innen, Pädag:innen, Sozialpädagog:innen, die Interesse an dem Projekt haben und das in ihrem Bereich gerne umsetzen würden oder unterstützen würden, dass das an Schulen oder auch an Jugendeinrichtungen zu integrieren. Da sind wir gerade dabei, da haben wir die erste Hürde genommen, die erste Ausbildung gestartet und bauen das jetzt so Stück für Stück auf. Und die Idee ist, dass das regionale Expert:innen oder eben Botschafter:innen sind, die dann auch für die Beratung zur Verfügung stehen. Und viele machen das dann im Rahmen ihres Jobs, einige werden vielleicht auch ein kleines Honorar nehmen, aber das ist auf jeden Fall eine gute Möglichkeit, um auch nochmal lokal, sich ein bisschen Support zu holen. Wir können leider nicht komplett ehrenamtlich arbeiten, aber mal so ganz unter uns gesagt: Wir haben bisher immer eine Lösung gefunden für die Schulen, also ich fänd’s schwierig, wenn jetzt eine Schule sagen würde „Wir wollen das unbedingt machen, das ist das perfekte Konzept für uns, wir haben aber einfach gar kein Geld“ – irgendeine Lösung finden wir, weil irgendwo gibt’s Geld.
Bleibt unter uns 🙂
Die Sache ist ja, was wir immer wieder hören im Bildungsbereich ist eigentlich: Geld ist vorhanden, aber Zeit und Personal ist nicht vorhanden und von daher ist es eigentlich gar nicht so das riesen Thema, ein bisschen Förderung zu bekommen, man muss einfach ein bisschen Arbeit da reinstecken.
Du hast am Anfang bei der Frage gelacht, wahrscheinlich weil ich auch bei der Botschafter:innenausbildung dabei war. Das heißt, wer Interesse hat, hier in Mecklenburg[-Vorpommern], der kann mich gerne ansprechen beim Projekt Digitale Jugendbeteiligung. Ich hab das zwar auch noch nie selber gemacht, aber ich bin gern bereit, mich da voll reinzuarbeiten und mit euch zusammen das auszuprobieren.
Super.
Ich mal wieder zurück zum Durchspielen: Jetzt haben wir irgendwie alle an der Schule überzeugt und wir haben das Finanzielle geklärt und was kommt dann als nächster erster Schritt?
Dann kommt eigentlich als erster Schritt der Vertrag. Also, das schlagen wir vor, dass man einen Beteiligungsvertrag abschließt mit allen Akteur:innen, wo festgehalten wird, was eigentlich möglich ist mit aula und wo auch die Grenzen sind in der Beteiligung. Denn wir wollen verbindliche Beteiligung schaffen, also dass das, was entschieden wird, dann auch umgesetzt wird und dafür ist es wichtig die Richtlinien festzulegen, damit alle wissen, auf welcher Basis machen wir das ganze hier.
Das ist der Kern des Ganzen, also wir machen das manchmal, je nachdem wir diese Workshops gestalten, wenn wir selber die Schulen betreuen, machen wir das mit den Schüler:innen zusammen, – also einer Gruppe aus Schüler:innen und Lehrer:innen, die nennen wir Multiplikatoren an den Schulen, die so eine Art aula-Projektgruppe bilden. Und mit denen arbeitet man diesen Vertrag aus – manchmal läuft’s auch anders, aber das ist der Idealfall, dass die schon direkt dadran beteiligt sind. Wir haben einen Beispielvertrag, den die Schulen dann bekommen können und an ihre eigenen Strukturen anpassen können.
Und wenn dieser Vertrag ausgearbeitet ist, dann geht der nochmal durch alle Gremien, also natürlich zur Schulleitung und in den meisten Fällen wird das dann auch nochmal von der Schulkonferenz abgesegnet. Und dann braucht man einen Startpunkt und am besten macht man sich einen Projektplan. Man guckt sich dann ein Datum aus und am besten sucht man sich auch einen Beteiligungsanlass, also sowas wie ein Schulfest oder „wir wollen das Schulgebäude umgestalten“, also irgendwas, wo man weiß, das ist ein Thema, das interessiert wirklich viele Leute und wird wirklich viele Leute motivieren, direkt auf die Plattform zu gehen. Und bis dahin muss man sich überlegen, wie man allen ihre Accounts zukommen lässt. Das ist natürlich abhängig von der Größe der Gruppe, ob das jetzt eine Schule von 300 oder 3000 ist, das macht natürlich einen riesen Unterschied, aber dafür muss man sich ein Konzept überlegen.
Viele von diesen Projektgruppen gehen dann in die Klassen und stellen das kurz vor und geben allen ihre Accounts auf einem Zettel – also das läuft ja bei aula so, dass man ein Pseudonym bekommt, 3 Buchstaben vom Vornamen und 3 Buchstaben vom Nachnamen ergeben deinen Nutzernamen und man kann das als Admin gemeinsam mit dem Passwort ausdrucken und dann stellt man aula vor und gibt allen ihr Passwort. Das macht man dann so lange, bis alle das haben und an diesem besagten Einführungstag sollten dann alle in der Lage sein, sich einzuloggen …
Das Passwort zu ändern.
… Passwort zu ändern, sehr wichtig, und eben zu wissen, dass es das gibt. Das Werben ist relativ wichtig, gerade am Anfang. Also Plakate aufhängen, immer wieder erinnern, vielleicht eine Durchsage machen. Gerade am Anfang ist dieses ständige Erinnern und Motivieren und Hinweisen sehr sehr sehr wichtig.
Das ergibt dann auch Sinn, weshalb es so wichtig ist, irgendein Start-Beteiligungsprojekt zu haben.
Genau. Denn wenn das nur so ein bisschen eintröpfelt am Anfang, dass ist es deutlich schwieriger, das Interesse so groß zu machen. Viele haben am Anfang immer eher den Eindruck, so ein bisschen auch Sorge, das könnte jetzt total explodieren und plötzlich fordern die hier die absurdesten Sachen und dann kann man das nicht umsetzen und oh nein, was passiert dann … Und da versuchen wir immer drauf einzuwirken und erstens zu sagen, aus unserer Erfahrung ist das Gegenteil der Fall. Was die für eine Vorstellung haben, was Schüler auf einmal für crazy Ideen haben. Ich würd mir das ja wünschen, dass diese Ideen kommen würden. In Wirklichkeit ist es aber komplett umgekehrt und du musst erstmal diesen Freiraum wieder schaffen bei jungen Menschen, dass sie überhaupt sehen, dass sie was verändern können, weil sie so daran gewöhnt sind, dass sie immer so von oben irgendwelche Regeln aufoktroyiert bekommen und dass sie dem irgendwie folgen müssen oder irgendwie versuchen, die zu umgehen, aber auf jeden Fall nicht, dass sie was dran ändern können.
Das ist auch unsere Erfahrung, dass eigentlich bei fast jeder Plattform, bei fast jedem Tool. Man muss das auch erstmal ein bisschen einüben und die Jugendlichen müssen das auch erstmal einüben, wie man damit umgeht, damit da erstmal so eine Gewohnheit entsteht, sonst passiert da auch einfach nichts.
Genau, und es ist nicht nur die Gewohnheit des Tools, sondern es ist eben auch die Gewohnheit: Ich habe Macht, ich habe eine Einflussmöglichkeit und bin nicht einfach nur, wie es oft in der Schule der Fall ist, nur so ein Rädchen im System und eigentlich interessiert es keinen so richtig, was ich mache und das ist diese Haltung, die gar nicht so ist, wie viele sich das vorstellen. Viele denken eben, dann kommen die krassesten Fragen und dann wollen die dieses oder jenes und das ist ja genau das was gut wäre: Wenn man viele Forderungen hat und die dann diskutieren kann und dann natürlich auch, wenn man Argumente findet, wenn das nicht umsetzbar ist, warum es nicht umsetzbar ist. Wenn man die Möglichkeit hatte, darüber zu diskutieren und Pro- und Kontra-Argumente zu finden, vielleicht klappt es dann ja irgendwie doch oder wenn es nicht klappt, dann hab ich zumindest einen ganz anderen Bezug zu dieser Regel, wenn ich dazu mitgesprochen habe. Das ist ein ganz einfaches Prinzip.
Das heißt, es braucht einfach eine Zeit, um Vertrauen aufzubauen in diesen Prozess, damit die Schüler:innen wissen, ja das kann ja auch funktionieren.
Ja genau, in den Prozess und auch in sich selber. Wirklich auch zu vertrauen, dass diese Möglichkeit wirklich da ist. Freiraum trifft es eigentlich ganz gut. Man hat so das Gefühl es ist zu wenig Raum dafür da, neue Ideen zu entwickeln, weil dieses „Das wird ja eh nicht umgesetzt.“ oder „Die Lehrer und Schulleitung machen eh, was sie wollen.“, das ist etwas, was wir wirklich sehr sehr viel hören. Das entspricht teilweise auch der Haltung, die man teilweise bei den Menschen im politischen Raum mitkriegt, dass das Vertrauen in die Politik immer mehr leidet, wenn man nicht das Gefühl hat, Einfluss nehmen zu können und deswegen versuchen wir an der Basis anzusetzen.
Ok, jetzt nochmal zurück zum Tool. Jetzt haben alle Schüler:innen und die Lehrer:innen auch einen Account bekommen und ein Passwort und jetzt können sie anfangen sich einzubringen. Wie funktioniert das jetzt?
Alle haben einen Account. Man hat diesen Anlass geschaffen und alle können sich einloggen und dann gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Es gibt einmal die Möglichkeit, eine „wilde Idee“ einzustellen. Das bedeutet, du kannst ganz frei dir irgendwas überlegen. Das ist sozusagen die kreative Phase. Dann muss diese Idee erstmal über ein Quorum kommen, eine bestimmte Anzahl an Unterstützungen kriegen, damit die in die nächste Phase kommt, die wir die Ausarbeitungsphase nennen, und dort wirklich so gut ausgearbeitet wird, dass sie durchkommt durch den nächsten Schritt. Das ist die Prüfungsphase, wo die Schulleitung – oder wer auch immer diese Funktion innehat – den Vertrag anschaut und die Idee anschaut und schaut: ist das vereinbar miteinander? Und wenn ja, dann kommt sie weiter in die Abstimmung und wenn nicht geht sie wieder zurück an den Anfang. Es muss dann aber auch eine Begründung angegeben werden, warum das nicht geht, und dann hat die Idee noch eine neue Chance. Und wenn das OK gegeben wird und alles passt, die Finanzierung passt und das ist einfach umsetzbar, auch gemäß der Schulregeln usw., dann geht es in die Abstimmung. Das ist der gängige Prozess.
Es gibt aber auch die Möglichkeit in dem Fall, den ich eben gerade beschrieben habe, wo es z.B. ein Thema gibt, was alle umtreibt, wo man nicht in der „wilde Ideen“-Phase anfangen würde, weil es da eher um ein Brainstorming geht, sondern man würde dann schon etwas später anfangen, wenn man schon weiß, was los ist und man würde es dann direkt in die Abstimmung geben. Das ist auch möglich – sowohl Ideen sammeln, als auch kollaborativ arbeiten, als auch über etwas abstimmen ist alles in einem Prozess möglich, aber man kann diese Dinge auch ein bisschen voneinander entkoppeln, je nachdem wie weit ein Vorschlag schon ausgereift ist.
Und das ein Vorschlag ausgereift ist, das liegt immer in der Verantwortung desjenigen, der die Idee hatte?
Im Prinzip ja. Die Person steht dann natürlich da mit ihrem Account, aber wir sagen immer, dass es gut und ratsam ist, dass man sich eine Gruppe sucht. Je größer die Idee natürlich auch ist, dass man sich Unterstützer:innen holt und Mitstreiter:innen und gemeinsam an der Idee arbeitet. Oft sind das ja große Projekte, manchmal gibt es natürlich auch kleine Sachen, aber das sollte schon drin sein, dass man sich zusammentut und auch gemeinsam dran arbeitet – natürlich auch mit den Lehrer:innen zusammen. Viele Dinge sind nicht nur in Schülerverantwortung. Die haben vielleicht einen Anstoß oder vielleicht haben die Lehrer:innen auch einen Anstoß und dann schaut man: „Ok, wer ist zuständig? Wer hat Lust?“ Und dann arbeitet man das gemeinsam aus.
Und auf der Plattform muss dann ja irgendwer entscheiden: Diese Idee ist jetzt ausgearbeitet genug, die soll jetzt mal geprüft werden. Wie kommt dieser Schritt zustande?
Das ist einfach ein Zeitraum, den man einrichtet. Den kann man auch anpassen auf der Plattform. Die kollaborative Arbeitsphase ist vom System vorgegeben und die kann man auch umstellen. Das kann eine Woche sein, das können drei Wochen sein oder zwei Monate oder wie lange auch immer man glaubt dafür zu brauchen und dann wird das automatisch weitergeschoben. Dann wird die Idee sozusagen eingefroren und man kann nicht mehr weiter daran arbeiten, man kann keine Vorschläge mehr machen und nicht mehr liken. Und dann geht das wie es ist an die Schullleitung und wird geprüft.
Bei dem Prüfungsprozess, das macht dann allein die Schulleitung oder gibt’s da auch andere Modelle? Denn man könnte ja jetzt Angst haben, da schaut außer der Schulleitung keiner drauf und dann hat keiner mehr Einfluss darauf, ob das eine sinnvolle Entscheidung ist.
Naja, die Entscheidung ist ja nicht willkürlich, sondern wir auf Basis des Vertrags getroffen. Das ist zumindest der Plan. Dieser Vertrag sollte für alle einsichtig sein und das heißt im Prinzip hat jeder die Möglichkeit zu prüfen. Jeder sollte es nachvollziehen können. Und wenn diese Idee oder das Thema nicht umsetzbar sein sollte, dann muss dieser Schulleitungsaccount eine Begründung eingeben und dann sagen: Aufgrund xy-Paragraph des Vertrags oder weil sie das nicht bezahlen können oder so, kann das nicht umgesetzt werden.
Es gibt aber auch Modelle, dass es eher ein Prüfungsgremium gibt. Das ist dann nicht nur Schulleitung und Stellvertretung, sondern das ist ein Gremium, in dem auch Schüler:innen sitzen – Schüler:innen, Lehrer:innen, vielleicht etwa fünf Personen -, die sich das dann gemeinsam anschauen, wenn es schulweite Themen sind. Es gibt ja auch die Möglichkeit klassenintern oder stufenweit etwas zu entscheiden, aber wenn es große Entscheidungen sind, dann find ich persönlich das ziemlich gut, wenn man so ein Gremium hat und da auch nochmal guckt, ob das passt.
In manchen Fällen wird es auch notwendig sein, nochmal die Schulkonferenz anzurufen, damit ein Vorschlag, der in dieser Phase noch Fragen aufwirft, ob es wirklich legitim ist, den umzusetzen, dann nochmal in die Schulkonferenz geht und dort nochmal abgestimmt wird, bevor es dann zur Abstimmung für alle freigegeben wird. Das ist natürlich ein bisschen schwerfällig und wir wünschen uns das eigentlich anders, dass zumindest teilweise diese Schulkonferenz nicht ersetzt wird, aber das aula da für bestimmte Themen mit abbildet, sodass dieses Gremium wirklich nur noch bei Grundsatzentscheidungen einberufen wird und bei vielen anderen Dingen das eben nicht mehr notwendig ist, sondern das einfach entschieden werden kann.
Bzw., wenn so ein Entscheidungsgremium gibt und da sind Schülervertreter drin, dann wär das ja auch logisch, dass sie aus diesen bestehenden Strukturen kommen.
Ja genau.
Und wie ist da die Erfahrung: Ich stell mir vor, wenn das jeder in seiner Freizeit, zu Hause irgendwie macht, dann ist es natürlich ziemlich schwierig, wenn man sich nicht in Gruppen extra organisiert, bezüglich irgendwelcher Ideen Absprachen zu treffen.
Also wir schlagen immer vor, dass es so etwas gibt wie eine aula-Stunde – wöchentlich im besten Falle, in jeder Klasse, in jeder Gruppe, die auf aula vertreten ist -, wo man zumindest eine kurze Zeit investiert, um zu schauen, was gibt es gerade Neues? Das ist natürlich nicht immer nur so, dass man auf aula guckt, sondern eigentlich ist die Frage: Was passiert gerade in unserer Schule und worüber wollen wir sprechen? Und aula nehmen wir dann als Möglichkeit der Dokumentation, wo wir auf einmal sehen können, was die anderen denken und besprochen haben. Man schaut da also drauf und weiß, was gerade der Stand ist, wo gibt es gerade eine Abstimmung, was haben wir noch für Ideen, die wir einbringen wollen und so hat man das Ganze dann institutionalisiert und integriert in die Strukturen der Schule.
Soviel zur Idealvorstellung. In der Praxis wissen wir natürlich alle: Schulen sind eng getaktet und Lehrer:innen haben wenig Zeit und in der Realität gab es diese aula-Stunden teilweise und die Lehrer:innen haben trotzdem Unterricht gemacht. Und das hat die Schüler:innen das wieder frustriert und dann haben wir immer versucht, die zu unterstützen und gesagt: Fordert das ein! Wenn das von der Schulleitung so beschlossen wurde, dann müsst ihr das einfordern. Also man kann ja auch Kompromisse schließen. Gerade wenn eine Prüfungsphase ansteht, dann kann man ja sagen, man macht zumindest 15 Minuten aula und den Rest dann Unterricht. Es geht einfach um diese Regelmäßigkeit, um dieses Schaffen von einem Zeitfenster, in dem man sich verabreden kann. Manche haben das auch in der Pause gemacht, weil einfach gar keine andere Möglichkeit gab, dass sie einfach gesagt haben, jede dritte Pause am Dienstag z.B. machen wir das. Andere Schulen wiederum haben wirklich komplett da mitgemacht. In einer Schule in Jena haben sie die Demokratiezeit eingeführt, was sozusagen diese aula-Stunde war, aber da ging es auch nicht nur um aula, sondern generell, was für andere Engagementprojekte man macht an der Schule. Alles, was irgendwie mit Mitbestimmung zu tun hat wurde in dieser Zeit dann besprochen – das war ziemlich cool. Es ist also wirklich wichtig, auch außerhalb des digitalen Raums eine Möglichkeit zu finden, sich abzusprechen.
Aula ist ja auch nicht ein Thema, sondern eine Plattform, wo alle Themen Platz haben können.
Genau, das würde ich auch so sehen.
Das klingt ja ziemlich gut und das klingt auch ziemlich aufwendig. Also wenn ich mir überlege, du musst alle überzeugen, du musst erstmal so ein Projekt durchgehen, dass die Leute alle sehen: Ja, das funktioniert irgendwie. Ich merke, ich habe Einflussmöglichkeiten. Was ist eure Erfahrung, wie lang dauert das bis aula mal so richtig selbstständig läuft an einer Schule?
Länger als gedacht immer – sag ich auch unter uns, natürlich.
Ich verrat’s keinem weiter 🙂
Am Anfang waren wir da sehr optimistisch und haben dann natürlich gemerkt, wie Schulen funktionieren und dass es da auch bestimmte Rhythmen gibt. Man kann da nicht mit anderen Projekten in anderen Kontexten vergleichen, weil durch die ganze Ferienstruktur, die Prüfungsstruktur man immer gucken muss, wann ein guter Zeitpunkt ist.
Das Timing ist entscheidend: Wenn das Timing gut ist, dann kann das auch relativ schnell gehen, dann kann das innerhalb von ein paar Monaten funktionieren. Wenn das Timing schlecht ist, dann kann sich das Jahre hinziehen, weil das immer wieder versacken kann, wenn man eben nicht den richtigen Zeitpunkt findet, das an alle zu kommunizieren. Wie ich eben kurz eingangs gesagt hab, dass viele diesen Fehler machen: Wir fangen erstmal klein an, mit nur ein paar Leuten, weil wir Sorge haben, es kommen mega viele Ideen und dann arbeiten wir Stück für Stück mit der Klasse und dann mit der und dann irgendwann macht es die ganze Schule, also dass man es sich sozusagen vom Kleinen ins Große entwickeln lässt. Die Idee ist schön, aber es ist unserer Erfahrung nach besser, man schafft wirklich einmal diesen Aufmerksamkeitsmoment und wenn man das hinkriegt, dann kann das auch schnell gehen. Wenn alle wollen und man da gut timet, dann kann das innerhalb von ein paar Monaten laufen, also von der ersten Kontaktaufnahme bis zur Etablierung. Aber wir haben wie gesagt auch Schulen, mit denen arbeite ich seit zwei Jahren und das ist immer noch nicht richtig am Laufen.
Bei den kleinen Gruppen, wenn man das erstmal dabei belässt, dann hat das ja auch den Nachteil, dass man gewisse Entscheidungen einfach nicht treffen kann. Man kann eben als 5a nicht entscheiden, wir wollen jetzt eine komplette Schulhofumgestaltung haben.
Ganz genau ja. Das ist genau der Hintergrund. Du kannst dann nur kleine Sachen machen und dann ist natürlich auch die Frage völlig berechtigt in der Klasse – das kam dann auch von den Schüler.innen -, warum soll ich mich da jetzt einloggen, wenn wir uns einfach per Handzeichen oder per Diskussion abstimmen können. Das kriegt jetzt natürlich durch die Pandemie nochmal eine andere Qualität, das ganze Thema, denn jetzt ist dieses Zusammensein und sich Abstimmen nochmal anders, aber davor war das auf jeden Fall so, dass es denen viel einfacher vorkam, das einfach schnell in der Klasse zu machen, und das hab ich völlig verstanden. Der Mehrwert von aula ist ja auch nicht, dass es eine digitale Schülervertretungsplattform ist, sondern dass es anregt zur Auseinandersetzung mit den eigenen Strukturen und man sich mit der Frage beschäftigt: Wie demokratisch sind unsere Strukturen eigentlich? Und wollen wir eigentlich auch, dass Schüler:innen sich beteiligen? Und wenn nein, warum nicht?
Das ist so absurd: Leute wollen aula machen und haben dann plötzlich Angst davor, was die Entscheidungen sein könnten. Wenn man das mal nutzt und reflektiert, was eigentlich in unserem System falsch ist, dann kommen da ganz interessante Sachen zum Vorschein, die auch Veränderungen möglich machen. Also letztendlich ist es eigentlich ein Instrument zur Schulentwicklung. Das ist aber natürlich was, was nicht jeder sofort so erfasst in der Form und deswegen raten wir denen, die es verstehen, dazu, es gleich im großen Stil zu integrieren und implementieren, dass möglichst viele es möglichst breit mitkriegen und man es nicht als Tool nutzt, sondern als Konzept oder als Struktur.
Und diesen Part der Schulentwicklung auch gleich offen mit kommunizieren, damit da nicht jemand böse überrascht wird, wahrscheinlich?
Jein. Würd ich nicht unbedingt so sagen. Ich würde es natürlich nicht verschleiern, denn die Leute, die da ein Interesse dran haben, die verstehen das sowieso. Was ich wichtig finde, ist immer zu sagen, das ist nicht einfach nur ein Tool, sondern das ist ein Konzept, und wir wollen nicht das Analoge ersetzen mit dem Digitalen. Das ist wirklich wahnsinnig wichtig, weil das ganz viel immer noch vorherrscht, diese Ansicht. Im Übrigen nicht nur, wenn es um aula geht, sondern generell, wenn es um Digitalisierung geht. Wenn ich jetzt irgendwie in den Medien lese, dass in Bayern aktiv dagegen gearbeitet wird, dass jetzt bei den Schulschließungen ab morgen, es keinen digitalen Unterricht geben soll … ich kann das gar nicht glauben. Da merkt man ganz viel Überforderung und auch so ein komisches Mindset, dass Digitalisierung sowas ist, was nicht schon Teil unserer Realität wäre, sondern als gäb’s irgendwie dieses Digitale und dieses Analoge …
… als wär das irgendwie eine Parallelwelt, die gar nicht in der Realität ist. Das ist auch immer, was wir als unser Mantra haben: Digitale Jugendbeteiligung und überhaupt digitale Beteiligungsprozesse können immer nur gut sein, wenn darauf ausgerichtet sind, gute und bestehende Prozesse zu ergänzen. Und natürlich will man sich immer noch in echt sehen und zusammen was machen und das ist eben einfach nur ein zusätzliches Werkzeug.
Ja genau, das ist ein zusätzliches Werkzeug und es ist aber eben ein Werkzeug, das verändert so etwas wie Wissen – also wie man eigentlich mit Wissen umgeht. Z. B. Schule, bei der es immer noch viel um auswendig lernen und Wissen anhäufen geht, was in einer Zeit, in der man alles ergoogeln kann, schon nochmal kritisch betrachtet werden dürfte. Denn das ist im Grunde einfach eine Kulturtechnik – die Kulturtechnik des Umgangs mit der Digitalisierung. Es verändert sich im Grunde schon alles dadurch, aber es ist kein Ersatz, sondern ist einfach eine andere Qualität. Eine andere Qualität von Zusammenarbeit, von Wissensaneignung, von Kommunikation und dem müsste eigentlich mal Rechnung getragen werden, dass es um diese Veränderung der Qualität geht. Und das ist tatsächlich was, was wahnsinnig schwierig ist, unterzubringen, weil es da wahnsinnige Abwerreaktionen gibt und so ein festhalten an alten Strukturen. Da merken wir gerade im Bildungs- und Schulbereich. Das ist ganz ganz stark.
Das ist ja auch eine Denkstruktur, die man erst lernen muss und wenn man das Jahrzehnte lang so gedacht und gemacht hat, dann ist es ja wirklich einfach schwer, da umzudenken.
Ja, genau. Deshalb ist es wie du sagst, das Mantra: Wir wollen nichts ersetzen und gleichzeitig wollen wir euch anregen, das anzuerkennen, dass das Teil der Lebensrealität von allen Mesnchen ist und dass, wenn man Jugendliche davon fernhalten möchte, heißt das, man möchte sie von der Realität fernhalten. Und das ist etwas, was wir versuchen mitzugeben, diese Botschaft. Das ist eine der größten Hürden oft, dass du einfach merkst, da ist so eine richtige Sperre da. Und mit Zwang kann man da auch nichts machen, weil Lehrer:innen im Grunde machen was sie wollen im Unterricht. Die werden ja nicht wirklich kontrolliert und das ist auch ok, das ist auch gut so, aber manchmal würde man sich von den Strukturen wünschen, dass es da mehr Absprache, mehr Miteinander gibt. Und letztendlich fühlen sich viele auch allein gelassen und machen dann dadurch das, was sie wollen und sind überfordert und lassen sich dann gar nicht auf sowas ein. Oder haben auch nicht den Raum und die Möglichkeit neben allem, was sie sonst so machen müssen, sich jetzt plötzlich auf ganz neue Werkzeuge und Methoden einzulassen. Das dauert ja auch eine Zeit, bis man das alles erstmal verinnerlicht hat.
Aber jetzt mal weg von unerfreulichen Hürden und Sperren in den Köpfen. Wir nehmen mal jetzt an, das ist jetzt alles überwunden und aula läuft es funktioniert. Was ist denn im etwas längeren Ausblick nach eurer Erfahrung das, was dann passiert mit den Schüler:innen und den Lehrer:innen? Was sind denn die Auswirkungen, auf die es letztlich auch hinauslaufen soll?
Im ersten Moment würde ich natürlich sagen: Selbstwirksamkeitserfahrung. Das ist eigentlich schon der Kern, auf den es hinauslaufen soll und was wir auch merken, das klappt. Also dass die Erfahrung „Ich kann was verändern.“ eine extreme Energie hat und extrem was in Gang setzen kann. Eins meiner Lieblingsbeispiele ist immer eine Schule in Hamburg, da war es aus verschiedenen Gründen schwierig, am Anfang das umzusetzen. Also das war nur eine Oberstufe, das ist so eine Stadtteilschule, die nur von der 11. bis zur 13. geht und generell ist es, mit den älteren Schüler:innen zu starten, wenn die wirklich nur wenig Demokratieerfahrung in ihrem Leben hatten, wirklich wirklich schwierig. Dann war das auch noch ein sog. Problembezirk. Das heißt, viele Schüler:innen hatten einfach in ihrem persönlichen Leben nicht die allerbesten Voraussetzungen, um sich viel mit Schule und Demokratie zu beschäftigen, weil sie einfach alltägliche Sorgen hatten, wie: Wie kann ich meine Familie unterstützen und nach der Schule noch bei Edeka arbeiten und so. Und dann hatten wir noch eine Lehrperson, die zuständig war für aula, die nicht sonderlich motiviert war und die Schüler:innen im Grunde sogar demotiviert hat, indem sie immer gesagt hat: Jetzt habt ihr doch dieses tolle Tool und jetzt nutz ihr das nicht, ihr seid selber Schuld.
Wie ist die überhaupt dafür verantwortlich geworden, wenn sie das dann gar nicht wollte?
Das wurde bestimmt. Ich weiß nicht mehr genau, was seine Funktion war, auf jeden Fall hatte er irgendeine Position inne, wo ich auch ein bisschen überrascht war und dachte, ok, das passt jetzt nicht so richtig. Wir haben das dann einmal live mitbekommen, wie er solche Sätze zu den Schülern gesagt hat und dann sind wir zur Schulleitung gegangen und haben denen das gesagt, weil wir gemerkt haben, so geht’s nicht. Die Kommunikation mit ihm war auch superschwierig, er hat sich nie zurückgemeldet und war so eine richtige Hürde. Deswegen waren wir wirklich kurz davor in dieser Schule aufzugeben, aber dann gab’s eine neue verantworliche Person und das war ein Lehrer, der war die perfekte Wahl, weil der ganz nah an den Schülern war. Der hat ein sehr gutes Verhältnis gehabt und hat mit denen wirklich auf Augenhöhe gesprochen und hat gleichzeitig deren Respekt gehabt. Und das ist meiner Erfahrung nach eine sehr gute Mischung, gerade wenn die Schüler:innen Herausforderungen in ihrem Leben haben, wenn man das ernst nimmt und wann man die ernst nimmt, dann macht das wahnsinnig viel aus.
Als der dann in der Verantwortung war, lief das ganz gut und dann hatten die ein großes Thema, was sie alle umgetrieben hat, das war das Thema Abi. Die hatten schon seit Jahren, weil es eben an der Schule so schwierig war, keine richtige Abi-Tradition. Also es gab keinen Abiball, kein Abimotto, kein Abistreich, all diese Dinge, die es so gibt, was ja auch schön ist, so einen Schulabschluss zu zelebrieren. Das haben alles nicht auf die Kette bekommen und dann gab’s eine motivierte Gruppe, die mit diesem Lehrer sehr eng waren, die haben das dann ein Konzept aus dem Boden gestampft und haben dann richtig viel Werbung gemacht an der Schule. Das ist letztendlich auch umgesetzt werden und alle waren super happy und die, die das initiiert haben, haben dann gesehen, dass sie dazu beigetragen haben, dass alle jetzt plötzlich so ein positives Ergebnis hatten und so ein positives Erlebnis und das hat total was mit denen gemacht.
Wir haben dann in unserer Evaluationsphase mit denen Interviews gemacht und haben sie gefragt, wie sie das fanden und das war Wahnsinn, was für eine positive Energie dann da war und dass die echt schon was mitgenommen haben aus der Zeit. Wo man Anfang Leute gehört hat, die gesagt haben, als wir die ersten Workshops gemacht haben, was hab ich denn davon, wenn ich da mitmache. Ganz ehrlich haben die das einfach so gesagt, wo du schonmal kurz schlucken musst. Und sowas kann man ja auch nicht erklären, du kannst ja Selbstwirksamkeitserfahrung nicht den Schüler:innen erklären, sondern die müssen das einfach erleben und dann wissen sie, was das ist. Das ist der eine große Mehrwert.
Und das Zweite ist tatsächlich die Strukturveränderung, die teilweise oft sogar dann vonstatten ging, wenn es gar nicht funktioniert hat, aula zu integrieren. Und das ist eines der größten Argumente dafür, es zu versuchen, auch wenn man scheitert, weil man kann natürlich scheitern, aber auch daraus hat man wahnsinnig viel Lernpotenzial rausgeschöpft. Es ist an mehreren Schulen gescheitert – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Teilweise, weil sie mit einzelnen Klassen angefangen haben, teilweise weil es massiven Widerstand gab im Lehrerkollegium, an einer Schule aber auch einfach, weil sie gemerkt haben, sie brauchen es nicht. Die haben dann ihre Strukturen sehr krass reflektiert, weil sie gemerkt haben, irgendwie läuft das gar nicht mit aula und dabei wollen wir das doch unbedingt und was ist eigentlich die Ursache. Das war diese Schule, die diese Demokratiezeit eingeführt hat.
Die hatten das ohnehin schon gut gemanaget.
Ja, die haben diese Demokratiezeit mit aula eingeführt und hatten aber vorher eigentlich schon das Bedürfnis danach und hatten dann gemerkt, wir wollen das lieber alles persönlich machen, dieses Digitale klappt nicht so richtig und für unsere Strukturen passt das nicht, aber sind trotzdem so einen Reflexionsprozess durchgegangen und waren am Ende super happy, dass sie das gemacht haben, weil sie dadurch an einen Punkt gekommen sind, an dem sie vorher nicht waren und an den die auch nicht gekommen wären. Also diese strukturelle Veränderung und dieses Hinterfragen, was durchaus auch mit einem Scheitern zu tun haben kann, ist eben auch ein Mehrwert, den man aber natürlich auch erstmal erkennen muss. Es braucht auch eine gewisse Form von Mut, so ein Scheitern zuzulassen und darin auch einen Mehrwert zu erkennen, weil man eben nur durch Fehler auch was lernt.
Ich kann mir vorstellen, auf jeden Fall gibt’s dann hinterher, egal was passiert ist, Leute, die wissen, ich möchte das irgendwas passiert und da gibt’s noch mehr Leute, von denen weiß ich das auch.
Ja, das stimmt. Absolut. Auch dieses, man sieht nochmal mehr, wer noch als Mitstreiter:in infrage kommt.
Was ich bei der Botschafterausbildung auch ganz spannend fand: Da war ja ein großes Netzwerk an Leuten der Extremismusprävention dabei, die auch genau auf diesen Selbstwirksamkeitserfahrungsaspekt hingearbeitet haben. Was ist da der Gedanke dahinter?
Also im Grunde ist das nochmal ein bisschen kondensierter das gleiche, was ich eben schon erläutert haben, dass man davon ausgeht, wenn Menschen sich integriert und beteiligt fühlen und als Teil der Gesellschaft wahrnehmen, es einfach zu solchen extremen Handlungen nicht kommt. Ganz vereinfacht gesagt: Wenn du dich so unter Druck fühlst und verzweifelt bist und keinen Ausweg siehst aus deiner eigenen Situation und dich nicht integriert fühlst, sondern sehr isoliert bist in deinem Leben, dann ist die Chance, dass wenn dann jemand kommt, der dir verspricht, „Das ist jetzt der Ausweg und wenn du uns folgst oder wenn du dem folgst, oder dieser Idee folgst, dann wird alles super und die anderen sind übrigens Schuld an allem.“, dann ist es natürlich viel wahrscheinlicher, dass man sich dem anschließt, als wenn du dich integriert fühlst und auch einfach ein Selbstvertrauen hast, dass du in dieser Welt und in dieser Realität, in der du lebst, was verändern kannst.
Und wir glauben und sehen auch, dass, wenn du früh anfängst, diese Erfahrung zu machen, dann ist die Chance viel viel geringer, dass du dich in solchen extremen Kreisen bewegst. Deswegen geht es gerade bei Prävention darum, das gar nicht erst soweit kommen zu lassen, dass selbst wenn man sich vielleicht schon in so einem isolierten Umfeld bewegt – so gerade für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die vielleicht in Familien leben, wo die Eltern auch noch nicht so integriert sind, dass die einfach dort eine Möglichkeit haben, sich anders zu entfalten. Aber das gilt letztendlich für alle möglichen Jugendlichen mit allen möglichen Hintergründen.
Ja, das klingt total schlüssig. Ich kann mich auch an einen Podcast [siehe Shownotes] erinnern, da hat er auch mit einem Menschen, der ein Bildungswerkstatthaus errichtet hat, geredet, der hatte im Grunde den gleichen Gedanken: Wenn man das ganz früh fördert, diese Selbstwirksamkeitserfahrung und dieses „Ich kann was lernen und was durchdringen“, dass das dann vorbeugt, dass man sich abgehängt fühlt und frustriert ist.
Wir sind auch mit einigen Wissenschaftler:innen in Kontakt und kriegen eigentlich immer die Rückmeldung, dass das ein ganz guter Ansatz ist. Wir hoffen eigentlich auch, dass es noch mehr ähnliche Projekte geben wird und sich das einfach immer mehr ausweiter, weil wir merken, der Bedarf ist einfach groß. Und immer mehr Leute merken, es stimmt irgendwas nicht und wir haben immer mehr Herausforderungen und es ist einfach notwendig, dass die nächste Generation dabei unterstützt wird, ihr Ding durchzuziehen und die ganzen Herausforderungen, die gerade anstehen, anzugehen. Fridays for Future z.B. ist ja auch schon eine wahnsinnig tolle Bewegung, die uns alle sehr inspiriert und genau in die Richtung wollen wir eigentlich junge Menschen unterstützen.
Weil die ja auch total gut aufzeigen, wo in unseren Beteiligungsstrukturen Lücken sind, wo die jugendlichen Stimmen da einfach nicht zur Geltung kommen und jetzt diesen Weg gefunden haben.
OK, ich hab jetzt glaube ich keine weiteren Fragen mehr. Haben wir noch irgendwas vergessen?
Ja Mensch, das ging ja schnell 🙂 Haben wir noch irgendwas vergessen… das ist eine gute Frage.
Ich weiß nicht, ob das jemenschen interessiert, nochmal die Frage, wie aula in der Pandemie genutzt wird. Ich hab keine 100%ige Antwort dadrauf, nur dass wir merken, dass wir gerade extrem viele Anfragen bekommen, also richtig viele. Es scheint für die, die gerade den Raum dazu haben, nochmal ein Anlass zu sein, den Schritt zu gehen, ok wir wollen uns jetzt ein bisschen mehr digitalisieren.
Da kann ich nur nochmal den Aufruf machen, das zu unterstützen, auch von politischer Seite her, und nicht zu versuchen, das weiter zu verhindern. Und es reicht nicht, Schulen zu unterstützen, indem man irgendwie Laptops zur Verfügung stellt oder einfach nur Geld in Infrastruktur reinpumpt, sondern es braucht vor allem die ganze Struktur dahinter. Man muss das Personal unterstützen, man muss Freiräume schaffen dafür, man muss sowas wie Systemadministratoren mitdenken und dafür Gelder freistellen, man muss teilweise wirklich Schulgebäude renovieren. Es ist ganz oft so, dass das Stromnetz total marode ist und wenn du zu viel Geräte einstöpselst …
Ja, wenn da die zwei Steckdosen in einem Raum sind.
Es ist echt krass, also es wird vor allem jetzt deutlich durch das Thema Lüftungsanlagen, Filterung von Viren, aber es war auch schon vorher der Fall. So ganz simple Dinge, dass das Stromnetz der Schule nicht klappt oder eine Schule, die haben zwar einen Glasfaseranschluss, sind aber komplett runtergedrosselt auf eine haushaltsübliche Geschwindigkeit der Datenübertragung. Eine ganze Schule mit hunderten oder tausenden Schülern! Solche Sachen muss man mitdenken.
Deshalb nochmal als Abschlussapell an alle, die es mitkriegen, an alle Politiker:innen und Menschen, die darauf Einfluss haben, Schulen dabei zu unterstützen, dass es nicht nur um Geräte geht, sondern auch darum, die Bedingungen zu schaffen, dass die auch verwendet werden können und das Personal entsprechend auch geschult wird, das zu verwenden.
Ok, dem schließ ich mich vollkommen an!
Und wenn man jetzt ganz ganz heiß darauf ist, aula auszuprobieren und mit euch Kontakt aufzunehmen oder erstmal überhaupt sich ein bisschen weiter reinzuwühlen, wo kann man sich informieren?
Eine ganz heiße Adresse ist www.aula.de. Oder ">, das ist unsere email. Schreibt uns, dann erreicht ihr mich und meine beiden Koleginnen und eine von uns wird sich definitiv melden.
Und wie gesagt, ich bin ja offiziell Botschafter inzwischen. Auch bei mir, bei "> könnt ihr euch auch gerne melden.
Alexa, herzlichen Danke für das Interview! Das war schön, mit dir zu sprechen.
Ja, fand ich auch. Das ist immer wieder – ich mag das, wenn sich so ein Gespräch einfach so dynamisch entwickelt und das Gefühl hatte ich, das war gut. Danke dir für die Einladung.
Ja, ich hab’s versucht. Und dann sag ich jetzt Tschüß!
Auf Wiedersehen!
Shownotes:
Aula Website: aula.de
Aula Kontakt: ">
Verein Politik-Digital
Georg ist Botschafter für Aula in Mecklenburg-Vorpommern. Ihr erreicht ihn unter "> oder den unten genannten Kontaktdaten.
Podcast-Tipp: Resonator, Folge 91 „Haus der kleinen Forscher“
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Beitrag vom 11. Januar 2021