Der Flughafen von Brüssel war am 26.11.01 Schauplatz der Ankunft einer nicht ganz alltäglichen Delegation aus allen europäischen Mitgliedsländern sowie den Beitrittsstaaten. Mit Reisetasche und Schlafsack, mit Landkarte und Stift, mit Kamera und mit ihren Arbeitspapieren − mit guter Laune und vor allem mit viel Erwartung an den dreitägigen Event kamen etwa 200 Jugendliche zwischen 16 und 26 Jahren in Belgien an, um vom 26. — 28.11.2001 an dem Colloquium zum Erscheinen des „Weißbuches zur europäischen Jugendpolitik“ teilzunehmen. Die Veranstaltung fand in Gent statt, das etwa eine Autostunde von Brüssel entfernt ist und somit direkt im Machtzentrum der Europäischen Union liegt.
Die europäische Kommission, als Exekutivorgan der Europäischen Union, hatte den Prozess bereits 1999 begonnen, nachdem sie gemerkt hat, dass für Jugendliche Europa mehr ist als ein Konstrukt auf dem Papier. Junge Leute wollten Mobilität, anerkannte Bildungsabschlüsse in allen Ländern, Austauschprogramme und vor allem überall mitreden. So organisierten im Jahre 2000 die nationalen Jugendministerien in allen europäischen Ländern nationale Jugendkonferenzen, bei denen Forderungen, Meinungen und Vorschläge für das zu erstellende Weißbuch gesammelt wurden. In Deutschland veranstaltete das Bundesjugendministerium (www.bmfsfj.de) zusammen mit dem WannseeForum (www.wannseeforum.de) in Berlin vom 9. Juni bis zum 14. Juni 2000 die erste Deutsche Jugendkonferenz, bei der sich 90 Jugendliche direkt und über 20.000 Jugendliche virtuell über die webplattform www.u26.de trafen und ihren Beitrag gestalteten. Gemeinsam formulierten über 450 Delegierte dieser nationalen Konferenzen im Oktober 2000 in Paris ihre gemeinsamen Beiträge für das Weißbuch. Nach diesem Mammutprozess hörte sich die Kommission zudem die Meinung der Jugendforscher und der nationalen Jugendministerien aus allen europäischen Ländern an. Das Europäische Parlament (www.europarl.eu.int) beteiligte sich ebenfalls an diesem Prozess und organisierte mit Hilfe des Europäischen Jugendforum (www.youthforum.org) eine Anhörung von nationalen und europäischen Jugendorganisationen.
Nach diesem Prozess, der über anderthalb Jahre anhielt, hatte die Kommission mehr Vorschläge und Forderungen (siehe www.europa.eu.int/comm/education/youth/ywp) als ihr lieb war. Übereinandergelegt ergaben die Papiere einen Stapel von mehr als einem Meter, wobei die Forderungen von einer jugendlichen Website für europäische Infos, über anerkannte Bildungsabschlüsse in allen Ländern, mehr Sprachkompetenz in der Schule, einer finanziellen Grundsicherung für Jugendliche, bessere Anerkennung von non−formal education… bunt zusammengewürfelt waren und ein neues völlig verändertes Bild eines „Europas der Zukunft“ ergaben. Die wichtigste Forderung jedoch war, dass die beteiligten Jugendlichen direkt mitbestimmen wollten, wie sich Europa weiterentwickelt. Die Europäische Union erschien ihnen als Idee fantastisch — als Realität aber völlig abgehoben und weltfremd. Nun forderten sie ein jugendliches Europa ein, dass in allen Politikfeldern (Bildungspolitik, Jugendpolitik, Wirtschaftspolitik etc.) von Jugendlichen mitgestaltet wird und verständlich wird.
In Gent nun konnten die Jugendlichen auf 89 Seiten lesen, was die Kommission von ihren Forderungen und Vorschlägen in das Weißbuch
(www.europa.eu.int/comm/education/youth/ywp/whitepaper_de.pdf) mit aufgenommen hat. Die Kommission gesteht Jugendlichen darin einen Vorrang zu, da sie die Bürger Europas von morgen sind und möchte sie großflächig in die Gestaltung Europas mit einbeziehen. Sie sieht besonderen Handlungsbedarf in einer gemeinsamen Bildungspolitik und einer Verbesserung des Jugendaustausches sowie der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und des Rassismus. Zudem sieht die Europäische Kommission die Globalisierungskritik von Jugendlichen als reale Kritik an und möchte versuchen, die Kluft zwischen den öffentlichen Institutionen und den Jugendlichen zu schließen. Über hundert konkrete Vorschläge sind in diesem Weißbuch formuliert und werden nochmals durch die Vorschläge der Jugendlichen von der Europäischen Jugendkonferenz von Paris ergänzt, die direkt in das Weißbuch übernommen wurden.
Dortje Treiber (18 Jahre, Baden−Württemberg) als eine der drei deutschen Delegierten an dem Gent−Colloquium meint dazu: „Ich finde es cool, dass die Europäische Kommission so viele von unseren Forderungen mit aufgenommen hat. Nachdem der Prozess fast zwei Jahre, also enorm lange, gedauert hat, können wir ein Weißbuch mit nach Hause nehmen und mit Leben füllen.“
Die Europäische Kommission hat das Weißbuch jetzt an die nationalen Regierungen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und den Beitrittsländern gegeben mit der Bitte um eine konkrete Umsetzung. Auf europäischer Ebene werden weiterhin Jugendliche an der Umsetzung beteiligt sein und im nächsten Jahr eine Website mit der Kommission gemeinsam herausbringen, bei der Infos zu Europa in einer jugendlichen Sprache zur Verfügung stehen. Zudem werden ab dem nächsten Jahr aus dem Programm YOUTH
(www.europa.eu.int/comm/education/youth.html) Projekte gefördert, die das Weißbuch auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene umsetzen. Als weitere konkrete Maßnahme wurde die offene Koordinierungsmethode eingeführt, um zu überprüfen, wie die gemachten Vorschläge des Weißbuches auf nationaler und europäischer Ebene umgesetzt werden.
„Wir werden als Bundesjugendministerium vom 21.−24. März 2002 in Weimar die zweite Deutsche Jugendkonferenz stattfinden lassen. Diesmal geht es um die Umsetzung des Weißbuches in Deutschland. Über zweihundert Jugendliche werden dann entscheiden, welche Maßnahmen in Deutschland ergriffen werden sollen und wir werden sie dabei tatkräftig unterstützen.“, so Sybille von Stocki vom Bundesjugendministerium. Schon jetzt sind Anmeldungen für diese Konferenz unter www.jugendineuropa.de möglich.
Mit dem „Weißbuch zur europäischen Jugendpolitik“ haben engagierte Jugendliche jetzt ein Dokument in der Hand, das von allen nationalen Regierungen, zehntausenden Jugendlichen aus ganz Europa, Jugendforschern und Jugendverbänden mitgestaltet wurde und das ihre Rechte in Europa beschreibt. Beteiligung steht dort an erster Stelle und somit wird sich auch Deutschland dieser Aufgabe zuerst stellen — jetzt seid ihr aufgefordert, konkrete Aktionen stattfinden zu lassen mit der finanziellen Unterstützung aus dem Programm YOUTH, euch bei der Konferenz anzumelden oder aber vor Ort Beteiligungsprojekte zu initiieren. Dabei wird euch die Servicestelle Jugendbeteiligung
(www.jugendbeteiligung.info) als erstes konkretes Ergebnis des Weißbuchprozesses in Deutschland gerne unterstützen.
br
Beitrag vom 12. Dezember 2001